Drachenfeste sind die perfekte Wochenend-Beschäftigung

Ich habe es ja schonmal erwähnt. Gibt man "Drachenfest" bei Google ein sieht man viele Bilder von Mittelalterfesten.
Auch das ist bestimmt ein schönes Hobby und ich war auch schon das ein oder andere Mal als Besucher dort, aber es ist nicht das, womit ich viele meiner Wochenenden im Sommer verbringe.


Ein typisches Drachenfest muss man sich wie folgt vorstellen.

Freitag: Es ist 15:00 Uhr; Feierabend! Schnell nach Hause, die letzten Sachen ins Auto packen und dann los. 1-4 Stunden später, in denen man durch den Feierabendverkehr des Nordens gefahren ist, kommt man endlich an. Viele sind schon mit ihren Zelten, Wohnwagen oder -mobilen da und haben ihre Sachen fertig aufgebaut. Praktisch, wenn man jetzt ein Wurfzelt hat. Innerhalb von 15 Minuten ist alles fertig aufgebaut.

Am Himmel sieht man ein paar vereinzelte Drachen. Freitags sind fast nie Zuschauer da und man fliegt nur so ein bisschen für sich selbst.

Jetzt erstmal rumgehen und die Leute begrüßen. Häufig sind es die Gleichen, die man so trifft. Man unterhält sich kurz, trinkt auf den abfallenden Stress ein Bier und das Wochenend-Feeling setzt ein.
Nächster Tagesordnungspunkt: Grill auspacken und Feuer machen. Irgendwann hat der erste Hunger (oftmals bin das ich). Dieses arme Schwein darf dann den Grill anmachen und wenn er sich nicht schnell genug rauszieht, ist er sogar noch für das Grillen verantwortlich, während die anderen weiter Bier trinken.
Man grillt in der Regel nicht nur für sich sondern sitzt auch gerne Mal mit bis zu 20 Leuten an einer großen Tafel aus verschiedensten Campingmöbeln in allen Größenordnungen. Einzige Regel an dieser Tafel: Alles was auf dem Tisch steht darf gegessen werden. Ab jetzt sind "dein" und "mein" nur noch bürgerliche Kategorien. Generell wird zwischen "Drachenfliegern" fast alles geteilt. 

Nach dem Essen bleibt man meist noch ziemlich lange sitzen, trinkt das ein oder andere Kaltgetränk (im Herbst auch gerne Mal was Warmes. Kakao mit Amaretto *_*) und unterhält sich über Gott und die Welt.

Fast forward zum Samstag:

Aufwachen... Hat man ein ordentliches Zelt ist es auch um 9 Uhr noch schön dunkel und das Sauna-Feeling bleibt noch aus.
Nachdem man sich dann erstmal dazu überwunden hat aufzustehen, wird man von zweierlei Menschen begrüßt. Diejenigen, die (wie ich) etwas verschlafen aussehen und vor dem ersten Kaffee keine 10 Worte reden. Auf der anderen Seite gibt es dann die Menschen, die seit 2 Stunden auf den Beinen sind, den ersten Drachen schon oben haben und einem ein "Guten Morgen!" entgegenschmettern. 

Ach ja und dann gibt es da noch diesen einen Typen, der um halb 8 die Bluetooth Box aufdreht und den 10 Minuten Edeka Jingle in Dauerschleife spielt und dabei im Kreis grinst, wenn die anderen wie genervte Zombies aus ihren Zelten kriechen.

Nach dem gemeinsamen Frühstück, welches ab und zu sogar vom Veranstalter gesponsert wird, geht es an die "Arbeit". Bodenanker reindrehen (die Bundeswehr Dinger), um den buchstäblichen Kreislauf in Schwung zu bringen, Drachensäcke mit bis zu 50 Kilo über die halbe Wiese schleppen und auf Wind warten. Ist dann Wind da, wird erstmal ein sogenannter Lifter hochgelassen, also ein Drachen mit möglichst viel Fläche der Zug auf die Leine bringt. Als Leinen wird häufig Dyneema verwendet, da diese eine hohe Bruchlast, bei geringem Durchmesser haben (z.B. 4mm dicke Leine = 1,3t Bruchlast). An weiteren dieser Leinen werden dann verschiedenste Figuren hochgelassen, die in die Leine des Lifters eingehangen werden. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Viele der Figuren sind Einzelstücke, die über den Winter unter der heimischen Nähmaschine entstanden sind. Diese Figuren sind dann meist zwischen 3 und 50 Meter lang. Ich hänge unten Mal ein paar Fotos an.

Ist erstmal alles oben, setzt man sich zufrieden auf die Wiese oder den Campingstuhl und unterhält sich mit Zuschauern oder anderen Drachenfliegern. Ab 11 Uhr gerne auch wieder mit einer Hopfenkaltschale dabei.

Setzt der Wind mal aus gibt es zwei Möglichkeiten: 

  • Man bemüht sich darum, alles oben zu halten, bis der Wind wiederkommt. Das ist mit viel körperlichem Einsatz und Kraft verbunden, macht aber auch Spaß. 
  • Andererseits hat man Wochenende und wenn man Mal keine Lust auf die Anstrengung hat, lässt man alles kontrolliert auf den Boden fallen. Letztendlich ist es ja doch nur Stoff und der tut keinem weh (außer man fliegt Stabdrachen).

Die Gelegenheit, wenn alles auf dem Boden liegt, wird dann oft von Lenkdrachenfliegern genutzt, die ihren Drachen mit wenigen kleinen Bewegungen am Himmel halten können. Mal alleine, mal in der Gruppe.

Das geht dann über den Tag so weiter. Ab und zu wird Mal eine Figur ausgetauscht um ein neues Bild an den Himmel zu setzen aber die meiste Zeit sitzt man einfach entspannt zusammen und schaut sich das Spiel am Himmel an.
Oder man geht physikalischen Experimenten nach. Zum Beispiel: "Was passiert, wenn man Cola, Butangas und WD40 in eine 0,5l Flasche füllt und diese schlagartig auf den Kopf dreht?". Hier sieht man das Ergebnis.

Gegen Abend, wenn das Essen auf dem Programm steht, werden viele der Drachen wieder eingepackt. Man möchte sich ja nicht unnötig stressen.

Wenn es dunkel wird, beginnt in 90% der Fälle unsere Nachtflugshow. Es werden große Verfolger aufgebaut, mit denen die Drachen beleuchtet werden und es werden nacheinander, zu passender Musik, Drachen gestartet. Häufig artet die Show in Sport aus, da der Wind tendenziell nach 21 Uhr keine Lust mehr hat und auch Feierabend macht. Dann muss man, wie man es aus der Kindheit kennt, seinen eigenen Wind machen und mit den Drachen über das Feld laufen. Hier mal ein kurzes Video von so einer Show.

Nach der Show wird gemeinsam eingepackt und es geht Richtung Bierstand. Dort gibt es dann meistens ein kleines Dankeschön vom Veranstalter in Form von 30 - 50 Litern. Der Abend verläuft nicht anders, als der Freitag. Es wird gelabert, Schwachsinn gemacht und getrunken.

Schlussendlich bleibt noch der Sonntag:
Der Morgen ist ähnlich wie am Samstag, man bleibt höchsten noch etwas länger liegen. Es wird gefrühstückt, man lässt Drachen steigen und genießt das Wetter und die Leute um sich rum. 
Gegen Mittag treten die Ersten die Heimreise an, da teilweise sehr lange Strecken zurückgelegt werden müssen. Die Veranstaltungen enden in der Regel gegen 16-17 Uhr. Bis auf wenige, die noch eine Nacht länger auf dem Platz bleiben, machen sich jetzt alle auf den Weg nach Hause.

Zuhause angekommen hat man noch genau 3 Wünsche:

  1. Duschen
  2. Bett
  3. nie wieder Alkohol. 
Die ersten beiden kann man sich, nachdem das Auto ausgeräumt ist auch meistens erfüllen. Der Dritte hält oft nur bis zum nächstem Drachenfest.


Aber warum genau sind Drachenfeste jetzt die "perfekte" Wochenendbeschäftigung?
Es mag ziemlich eintönig klingen, was ich oben beschrieben habe. Man trifft die immer gleichen Leute, sieht die gleichen Drachen und selten passiert etwas Spektakuläres. Was unterscheidet ein Drachenfest von einem "Saufwochenende" mit Freunden?
Für mich sind es viele Dinge, die die Wochenenden so genial machen. Drachenflieger gibt es aus jeder Generation. Die jüngsten Teilnehmer haben ihr erstes Lebensjahr noch nicht vollendet und die ältesten haben den zweiten Weltkrieg noch miterlebt. Man lernt unglaublich viele verschiedene Menschen kennen, die in ihrem Alltag verschiedenen Jobs nachgehen (vom Schüler über Sachbearbeiter zu Anwälten und Geschäftsführern) und die aus wirklich allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten kommen. Das tolle daran ist, dass auf der Wiese alle gleich sind. Die Unterschiede lassen sich höchstens daran erkennen, dass das Campinggefährt vielleicht etwas luxuriöser ausgestattet oder der Drachen-Anhänger etwas voller ist.
Es interessiert niemanden, aus welcher gesellschaftlichen Schicht, der andere kommt. Man unterhält sich mit dem anderen als Menschen und nicht als potenziellem Geschäftspartner oder sowas. So kann auch jeder so sein, wie er möchte ohne sich zu verstellen. Man wird angenommen und akzeptiert, wie man ist.

Die Menschen, die man auf den Festen immer wieder trifft, sind zu Freunden geworden, mit denen man gerne seine Zeit verbringt und mit denen man zusammen den eintönigen, stressigen Alltag vergessen kann. Ein Wochenende auf einem Drachenfest ist trotz der Fahrerei, des Campens und der langen Tage viel entspannender und erfüllender, als wenn ich 2 Tage lang auf dem Sofa liege und mir Netflix-Serien anschaue.

Ich hoffe, dass Corona bald soweit unter Kontrolle gebracht ist, dass wir unserem Hobby wieder nachgehen können. Dann kann ich hier auch ab und zu Mal einen Wochenendbericht veröffentlichen.

Bis dahin!
Sascha

Ps.: Denkt immer dran: Fliegt nicht, gibt's nicht!

Und hier noch die versprochenen Bilder (die Drachen sind nicht meine):

Bud Spencer auf einem Quilt

Bob Marley und Elvis auf Fanö

M&Ms und Bären in Schillig


Der ehem. weltgrößte Drachen (oben) über einer 50m Turbine auf Fanö

Premier-Kites über dem Deich in Norddeich

Sonnenuntergang in Norddeich


Aufbau der Verfolger für die Nachtflugshow

Wickie in Schillig


So sieht es aus, wenn alles fliegt


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